Der Begriff Ehre hat seinen Ursprung im Griechischen, gemeint sind damit der gute Ruf im Sinne von Tugend (eudoxia) und die gesellschaftliche Anerkennung und Ehrung (timé). Im Deutschen herrschen diese zwei Verständnisse von Ehre vor. Die Kulturanthropologin Dagmar Burkhart schreibt:
»Es bezeichnet einerseits etwas, das man die innere Ehre nennen könnte, die Moral, die Sittlichkeit, das Gewissen, die Tugend, die Selbstwertschätzung und das Schamgefühl eines Individuums (…). Ehre kann aber gleichzeitig die so genannte äußere Ehre meinen, die Anerkennung, die Würdigung von Seiten anderer, die Reputation.« 1
Seit dem Mittelalter ist der Ehrbegriff stark an Männer gebunden. Eine ideologische Überbetonung der »nationalen Ehre« zeigte sich in Deutschland in den Zeiten der beiden Weltkriege. »Viel Feind, Viel Ehr« war die Losung, mit der der deutsche Nationalismus 1914 das »Volk« auf den Feind einschwor und für den Krieg mobilisierte. Im Nationalsozialismus nahm der Begriff Ehre eine beherrschende Rolle ein. Die »nationale Ehre« war im NS an die Rassezugehörigkeit gekoppelt, so heißt es in Meyers Lexikon von 1937: »Ehre ist bedingt durch die Art, durch das Blut«. Die völkisch-rassistische Besetzung des Ehrbegriffs spiegelte sich in Parolen wie »Deines Volkes Ehre ist auch deine Ehre« und »Blut und Ehre« wider.
Bis heute ist Ehre ein zentraler Begriff der Rechten. Sie hat Bedeutung im Kontext mit »nationaler Ehre«, »soldatischer Ehre«, äußerer Ehre und innerer Ehre. Die äußere Ehre verknüpft sich stark mit den Elementen des Männerbundes, die innere Ehre wird meist der Frau zugedacht und umfasst einen Moralkodex, der die männliche Kontrolle über die Frau sichern soll.
Die männliche Konnotation der Ehre spielt in den rechten Lebenswelten eine herausragende Rolle. Sie ist untrennbar an die Wertvorstellungen des Männerbundes geknüpft, zentrale Aspekte sind physische Stärke, sexuelle Leistungsfähigkeit, Loyalität und die Bereitschaft zum Kampf. Diese Ehrvorstellung verbindet sich stark mit der »Soldatenehre«. Diese ist besetzt durch Attribute des Kampfes: Tapferkeit, Durchhaltewillen, Opferbereitschaft. Entsprechend wird der »Kampf um die Ehre« in den von uns untersuchten Szenen häufig besungen und beschworen. So heißt es im Lied »Krieger dieser Stadt« der Deutschrock-/Oi-Band Gerbenok:
»Wir sind die Krieger, die Krieger dieser Stadt, Wir ha’m den ganzen, den ganzen Abschaum satt. Wir vertreten unsre Ehre, unsre Liebe, unsren Hass, wir sind die Krieger, die Krieger dieser Stadt.«
Dieses Ehrverständnis findet weite Anschlussstellen in Hardcore-, HipHop-, Fußball-, Kampfsport- und Rockerszenen. Auffallend ist, dass der Begriff der Ehre – nicht nur, aber insbesondere – in den Männerbünden jeder selbstironischen Kommentierung entzogen ist: Bei der eigenen Ehre hört in Regel jeder Spaß auf.
Ehre funktioniert in diesem Kontext vor allem über die Wahrnehmung der eigenen Person und Gruppe von außen. Ehre bestimmt, was andere über einen denken sollen. In diesem Motiv spiegelt sich die Angst, dass einem im alltäglichen gesellschaftlichen Konkurrenzkampf etwas vorenthalten oder streitig gemacht wird, was einem nach eigenen Empfinden zusteht. Die Ehre beschreibt hier explizit den eigenen (sich selbst zugedachten) höheren Status, den Mann in der »Rangordnung« der Gesellschaft oder Gemeinschaft beansprucht. Ehre wird gleichermaßen verdient und zuerkannt, sie wird nur »besonderen« Menschen bei entsprechenden Leistungen zuteil. Dieses Verständnis funktioniert nur über einen Freund-Feind-Dualismus, die Erfindung »nicht ehrenhafter« Männer und über einen autoritären Charakter, der soziale Strukturen und zwischenmenschliche Beziehungen grundsätzlich hierarchisch und antiegalitär konzipiert.
»Ehrloses« Verhalten des Mannes misst sich im Wesentlichen an Unmännlichkeit, Falschheit und Illoyalität. Frei.Wild singen in ihrem Lied »Ich lache über dich«:
»Ich lache über dich falsche Sau, du bist kein Kind der Ehre und wirst es immer, wirst es immer bleiben. Ich lache über dich, der totale Looser, Sohn der falschen Wahrheit, wirst dein Leben lang Verlierer sein.«
Die Nichtzuerkennung oder Aberkennung der Ehre degradiert den Mann zum Verlierer und zum Verlachten. Er wird im imaginierten gesellschaftlichen Rangordnungskampf als nicht (mehr) konkurrenzfähig erachtet.
Während in rechten Lebenswelten das Mann-Sein im Wesentlichen mit den Attributen der äußeren Ehre belegt wird, wird Frauen die innere Ehre zugeschrieben. Diese ist vor allem mit einer moralischen Integrität zu fassen, die Frauen über »Tugendhaftigkeit« erwerben. Frauen werden zwar nicht auf »traditionelle« Rollen als Hausfrau und Mutter reduziert, unterliegen dennoch rigiden Moralbestimmungen und Verhaltensnormen, die über ihren Status in Szene und Gesellschaft entscheiden. Diese Normen sind von Männern festgelegt und betreffen insbesondere die Bereiche Partnerschaft und Sexualität. Die häufig gebrauchte Herabwürdigung der Frau als »Schlampe« dient der Unterscheidung von »ehrenhaften« (»ranghohen«) und »nicht ehrenhaften« (»rangniedrigen«) Frauen. Die Frau erfährt diese Beschimpfung insbesondere dann, wenn sie eine Partnerbeziehung auflöst und wenn sie Beziehungen zu Personen oder Cliquen unterhält, die als »rangniedriger« empfunden werden – wenn sie sich also männlicher Kontrolle entzieht und über ihre Sexualität und ihren sozialen Umgang selbst bestimmt. Besonders drastisch wird dies in der Regel im Gangster-Rap formuliert. Im Song »Highlife« beschreibt Bushido die Trennung von einer Partnerin, da diese ein »eigenes« Leben sucht. Nach Beschimpfungen (»Du bist partyfokussiert, Schlampe!«) und moralischem Appell (»Schämst du dich nicht? Du Mädchen besitzt keinen Stolz«) verdeutlicht Bushido, dass in seinem Weltbild offenbar kein Platz ist für die Vorstellung, dass die Frau unabhängig sein kann und sein will:
»Sie braucht die Freiheit, die Partys und den Highlife, das Licht geht aus und dann wird sie ganz allein sein. Ja, irgendwann wird sie merken, was ihr fehlt. Doch dann zeigst du dieser Nutte Stärke, wenn du gehst.«
Die Herabwürdigung von Frauen als »Schlampen« geht in den Szenen häufig auch von Frauen aus, die sich diese männliche Perspektive zu eigen machen und über Abgrenzung von anderen Frauen versuchen, ihren Status in der Szene zu festigen bzw. zu erhöhen.
Auffallend ist, dass sich im Gegensatz zum allgegenwärtigen Bezug auf (die eigene) Ehre in rechten Lebenswelten nur sehr selten Bezüge auf »Würde« finden. Es waren die Erfahrungen der beiden Weltkriege, die Bertolt Brecht in seiner Dreigroschenoper zur Forderung veranlassten, das Wort »Ehre« durch »Menschenwürde« zu ersetzen. Im Gegensatz zu Ehre ist Würde universal und egalitär. Ungeachtet des Status und Standes wird Würde jedem Menschen zuerkannt.
Noch stärker als in Musikszenen stellt die »Treue« in Fußballszenen einen übergeordneten Wert. Die emotionale Bindung vieler Fans an ihren Verein ist nicht austauschbar. Sie besteht häufig von der Jugend bis ins Alter und auch dann, wenn Fans (bspw. aus beruflichen Gründen) ihren Lebensmittelpunkt verlagern. Mit dem Verweis auf ihre Treue heben sich die »echten Fans« auch von »Erfolgsfans«, »Schönwetterfans« und anderen Akteur*innen des eigenen Vereins ab. Spieler, Trainer, Vorstandsmitglieder und Sponsor*innen kommen und gehen, die Fans sind nach eigenem Empfinden die Konstante des Vereins und garantieren dessen Authentizität. Hochproblematisch wird es, wenn der Begriff der »Treue« und ihn umgebende Attribute (Tradition, Beständigkeit, Verlässlichkeit etc.) an Vorstellungen der männlichen Ehre geknüpft werden. Der Mehrklang Treue – Ehre – Kameradschaft – Kampf bildet die ideelle Grundlage soldatischer Männlichkeitskonzepte und stellt sprachlich den Anschluss zur Propaganda des Nationalsozialismus her.
Shirt-Motiv eines extrem rechten Fußballfans aus Nordrhein-Westfalen 2013. Foto: Facebook
In Fußballszenen sind an die »Ehre« häufig Schlagworte von Freundschaft, Zusammenhalt, Loyalität und Lokalpatriotismus gekoppelt. Extrem rechte Gruppen greifen diesen Komplex auf und verbinden ihn mit nationalsozialistischer Symbolik. Für die Grafik »Es ist Derby. Kämpft für Verein, Stadt und Ehre«, die sich ausgehend von einer neonazistischen Fangruppe über soziale Netzwerke verbreitete, wurde ein Schrifttyp gewählt, der den Buchstaben »S« in Form der Sig-Rune darstellt. Zwei Sig-Runen bilden das SS-Symbol. Illustriert wird die Grafik mit dem Bild der männlichen Kampfgemeinschaft, für die der Sieg im Derby – auf dem Spielfeld, den Rängen und den Straßen – vor allem eine »Frage der Ehre« ist.
Eine andere in Fußball- und Rockerkreisen verbreitete Grafik zeigt den Ausspruch: »Ein Freund zu sein ist Ehre und Pflicht! Ehre Treue Respekt und Geradlinigkeit! Meine Ehre heißt Treue«. »Meine Ehre heißt Treue« war der Leitspruch der SS, eine Verwendung dieser Wortfolge vor dem Nationalsozialismus ist nicht bekannt. 2 Ehre lässt sich demnach nur durch Treue im Sinne absoluter Loyalität erringen. Der SS-Leitspruch drückt die Pflicht und die Bereitschaft zu Unterordnung und bedingungslosem Gehorsam aus. Die unverbrüchliche Gefolgschaft wird zur höchsten Tugend erklärt. Moralische Einwände, Individualität und auch nur partielle Verweigerung führen zum Ehrverlust, dem Ausschluss aus der Gemeinschaft gleichbedeutend.
Der SS-Leitspruch »Meine Ehre heißt Treue« in leichter Abwandlung (»Meine Treue ist meine Ehre«) auf einem Fußballfan-Schal. Foto: Fotograf*in unbekannt.
Die Grafik »Ein Freund zu sein ist Ehre und Pflicht! Ehre Treue Respekt und Gradlinigkeit! Meine Ehre heißt Treue« kursiert in Sozialen Netzwerken vor allem unter rechten Rockern und Fußballfans.
Aufkleber rechter Dortmunder Fußballfans
Auf einem Konzert der Rapperin Schwester Ewa am 2. März 2015 in Frankfurt am Main trat im Vorprogramm der Gangster-Rapper Twin auf. Der Angehörige einer Hooligangruppe heizte das Publikum unter anderem mit dem Spruch »Meine Ehre heißt Treue« auf. Nachdem die Presse dies als »Nazi-Skandal« betitelte, verteidigte Twin seine Wortwahl. Auf die Frage, ob ihm der historische Hintergrund des Spruches bekannt sei, antwortete Twin:
»War mir bewusst! Allerdings wurden und werden viele Sätze verboten oder zu Gruppierungen zugeordnet! ›Ehre und Treue‹ zum Beispiel, hätte ich sagen dürfen, aber im Kontext: ›Ich bin deutsch, meine Ehre heißt Treue‹, was nicht bedeutet ›ich bin Nazi/Doch redet ruhig Leute!‹ ist es verboten.« 3
Twin verwies darauf, dass er kein Neonazi sei und gar nicht sein könne, da seine Backup-Musiker auf dem Konzert Marrokaner und »russischer Abstammung« gewesen seien. Damit folgt Twin der verbreiteten Logik, dass selbst ein originaler SS-Spruch nicht als nazistisch zu werten sei, wenn er nicht Ausdruck eines eigenen neonazistischen Bekenntnisses sei und keiner neonazistischen Gruppierung zugeordnet werden könne. Viele seiner Fans stimmen darin überein. Die mediale Kritik wurde von ihnen in der Regel als überzogen gewertet, Beschimpfungen der Medien als »Lügenpresse« bilden – nachzulesen in Facebook-Beiträgen – in ihrer Kommunikation keine Ausnahmen.
Von Twin ist keine neonazistische Einstellung und Einbindung bekannt. Die Bilder »seiner« (Hooligan-)Gruppe, die er über Videoclips verbreitet, sind nicht die der weißen Deutschen. Die textliche Beschreibung und visuelle Darstellung »seiner« Männerwelt wirkt grotesk überzogen, ist aber frei von Ironie. Sie ist geprägt von der Verachtung der »Homos« und »Schlampen«, vom Bekenntnis zum Deutsch-Sein, von Herrschaftsfantasien und der Verherrlichung männlicher Gewalt:
»Kinn und Nacken – gerade Linie, immer mit erhobener Brust. Elle Richtung Solarplexus, weil ein Mann hier kämpfen muss […] Zerfick’ euch in der Tat erneut, verhasst, so wie das Hakenkreuz, Rapper aus Prinzip, sonst wär’ in dieser Szene gar nichts deutsch. Armut heut’ – keiner steht seinen Mann, jeder fragt warum, ich stresse Jungs, weil ich es kann« (Twin und Cashmo: »Rapper aus Prinzip«, 2014).
In der Gesamtschau von Twin lässt sich keine künstlerische Entwertung des SS-Leitspruches »Mei ne Ehre heißt Treue« erkennen. Trotz Distanzierung vom Nationalsozialismus wird die Parole positiv aufgeladen und im männlich-soldatischen Selbstbild etabliert.
1 Dagmar Burkhart, Eine Geschichte der Ehre, Darmstadt 2006, S.12
2 Adolf Hitler schrieb 1931 in einem Dankesschreiben an die SS die Worte
»SS-Mann, deine Ehre heißt Treue!«.
Dies nahm Heinrich Himmler auf und führte »Meine Ehre heißt Treue« 1932 als Wahlspruch der SS ein. Der Spruch fand sich in der Folge unter anderem als Prägung
in den Koppelschlössern der SS. Insofern muss »Meine Ehre heißt Treue« als originale Naziparole gesehen werden.
3 Twin mit exklusivem Statement zu den Nazi-Vorwürfen der BILD,
in: http://hiphop.de/magazin/twin-mit-
exklusivem-statement-zu-nazi-vorwuerfen-bild-278024#.Vfluqbz1G1E